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Voltige
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Ein Team, ein Ziel: Gold in Tryon

20 August 2018 08:00

Voltige ist eine Pferdesportdisziplin, die nur selten eine ganz grosse Bühne bekommt, eine Randsportart, die jedoch viel mehr Beachtung verdient hätte, da die jungen Menschen als Amateure neben Beruf oder Schule fünfmal pro Woche trainieren und schlicht alles geben, um einen Karrierehöhepunkt wie die Weltreiterspiele mit Erfolg zu krönen.

Einmal mehr hat die Selektionskommission Voltige des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport SVPS die erste Mannschaft von Voltige Lütisburg für einen Grossanlass selektioniert. Für die jungen Damen sind die Weltreiterspiele in Tryon (USA) vom 18. bis 22. September der Saisonhöhepunkt. Nach drei Team-Silbermedaillen an den WEG 2014 in Caen (FRA) und an den Europameisterschaften 2015 und 2017 haben die Voltigiererinnen ihr Ziel klar definiert. Sie sagen einstimmig: «We go for gold!»

Unser Team gehört zu den Weltbesten, weil alle auf Weltklasseniveau turnen.

(v. l. n. r.) Elisabeth Bieri, Nadja Büttiker, Ramona Näf, Aline Koller, Kyra Seiler, Samira Koller; es fehlt Sira Berghuis. (Bild: Daniel Kaiser) (v. l. n. r.) Elisabeth Bieri, Nadja Büttiker, Ramona Näf, Aline Koller, Kyra Seiler, Samira Koller; es fehlt Sira Berghuis. (Bild: Daniel Kaiser)

Hohes, aber mögliches Ziel

Die sportliche Leiterin und Longenführerin Monika Winkler-Bischofberger erklärt objektiv: «Nach drei Silbermedaillen an den letzten Titelkämpfen kann das Ziel nur Gold sein, denn wir orientieren uns natürlich vorwärts und möchten mehr als zuletzt. Mit Deutschland, Österreich und Italien haben wir aber starke Gegner, und das Team der USA ist das Fragezeichen im Starterfeld.» Sie habe den Auftritt der Amerikaner in Aachen gesehen, doch der habe sie nicht vollends überzeugt. «Aber sie hatten in Deutschland nicht ihr eigenes Pferd dabei. Zudem profitieren sie in Tryon vom Heimvorteil», so die Trainerin weiter. Ihr eigenes Team setzt sich aus sieben unterschiedlichen Charakteren zusammen, die sich aber bestens ergänzen.

Organisationstalent und Team-Mama

Elisabeth «Lise» Bieri ist mit 27 Jahren die Älteste der Gruppe. Sie gilt als Team-Mama, weil sie ein Organisationstalent ist und für alle mitdenkt. Ihre Kolleginnen sagen über sie: «Ohne Lise wäre bei uns wohl vieles chaotischer. Sie erinnert uns immer daran, was noch zu tun ist und was wir nicht vergessen dürfen.» Über sich selber sagt die junge Frau: «Ich bin organisatorisch gut und kann mit meiner langjährigen Erfahrung dem Team helfen. Sportlich empfinde ich mich nicht als herausragend.» Da interveniert aber die Trainerin: «Sie ist zu selbstkritisch. Tatsächlich ist sie eine hervorragende Voltigiererin und unglaublich konstant in ihrer Leistung. Unser Team gehört zu den Weltbesten, weil alle auf Weltklasseniveau turnen. Zudem ist Lise reiterlich sehr gut und hat die Ausbildung Leiterin B von Jugend+Sport gemacht. Sie ist mir in vielem eine grosse Hilfe.»

Der ruhende Pol

Die Zweitälteste im Team ist Nadja Büttiker (24), die nicht nur mit der Mannschaft, sondern auch als Einzelsportlerin an den Weltmeisterschaften im Einsatz sein wird. Auf die Frage, ob diese Doppelbelastung nicht enorm sei, meint sie: «Ich mache das seit vielen Jahren und kann an den Wettkämpfen gut damit umgehen. Die Pausen zwischen den Team- und den Einzelrunden reichen mir, um mich zu entspannen und für die nächste Aufgabe wieder zu pushen.» Allerdings sei es im Alltag fordernd, da sie mehr Trainingseinheiten habe als die Mädchen, die nur im Team antreten. Nadja ist die sportliche Leaderin der Truppe und gilt als eine der besten Gruppen- und Einzelvoltigiererinnen der Welt. Das Team schätzt an ihr, dass sie stets Ruhe bewahrt und es schafft, ihre Kolleginnen wieder zu erden, wenn Nervosität und Emotionen einmal hochkochen.

Die Pausen zwischen den Team- und den Einzelrunden reichen mir, um mich zu entspannen und für die nächste Aufgabe wieder zu pushen.

Der Muskelprotz

Die 20-jährige Ramona Näf ist die Powerwoman der Gruppe und wird von den anderen Girls zu Recht Muskelprotz genannt, denn ihre Kraft und ihr muskelbepacktes Äusseres sind beeindruckend. Sie sagt über sich: «Ich bin ständig am Powern und motiviere auch meine Kolleginnen. Meine Stärke ist aber auch meine Schwäche. Denn mir geht die Kraft eigentlich nie aus und dadurch reagiere ich ungeduldig, wenn andere sich mit einer Übung schwertun oder eine Pause brauchen, während ich gerne weiter powern würde.» Obwohl sie die immer vorwärtsstrebende Macherin ist, gilt sie auch als Spassvogel der Mannschaft. Denn ihre Energie reicht neben Höchstleistungen auch noch für Spässe, die die Stimmung im Team lockern, selbst wenn die Anspannung hoch ist.

Die Pferdeflüsterin

Ihre Beziehung zu den Pferden ist die grosse Stärke von Aline Koller (16). Zwar ist sie auch eine hervorragende Turnerin, aber gefühlt ist sie mehr die Pferdesportlerin als die Akrobatin. Sie liebt es, die Pferde zu pflegen, und reitet auch oft. Monika Winkler-Bischofberger erzählt: «Ich höre manchmal fasziniert zu, wie sie Zwiesprache mit den Pferden hält. In dieser Beziehung ist sie aussergewöhnlich.» Aline selber ist sehr selbstkritisch und sagt über sich: «Ich habe manchmal zu viel im Kopf und bin dann unkonzentriert. Und ich setze mich im Training und im Wettkampf oft so sehr unter Druck, dass ich die Nerven ein bisschen verliere.» Ihre Kollegin Ramona schmunzelt: «Im Training kann es dann schon mal vorkommen, dass sie fluchend gegen eine Wand tritt.»

Ich höre manchmal fasziniert zu, wie sie Zwiesprache mit den Pferden hält. In dieser Beziehung ist sie aussergewöhnlich.

Im Gegensatz zu den anderen Pferdesportdisziplinen trainieren die Voltigiererinnen nicht nur auf dem Pferd, sondern auch viele Einheiten auf dem Übungsbock und im Gymnastikraum. (Bild: Voltige Lütisburg) Im Gegensatz zu den anderen Pferdesportdisziplinen trainieren die Voltigiererinnen nicht nur auf dem Pferd, sondern auch viele Einheiten auf dem Übungsbock und im Gymnastikraum. (Bild: Voltige Lütisburg)

Die Chaotin

So organisiert und zielstrebig das Team ist, gibt es mit der 14-jährigen Kyra Seiler eine, die gerne Chaos produziert. Sie lässt alles liegen und vergisst das Aufräumen grosszügig. Trotzdem ist sie mit ihrer herzlichen Art Everybody’s Darling und gilt im Team als die feinfühlige Vermittlerin, wenn es einmal Differenzen gibt. Sie sagt dazu: «Ich spüre schnell, wenn etwas nicht stimmt, jemand traurig oder beleidigt ist. Dann gehe ich auf die Person zu, frage nach, was los ist, und versuche zu trösten oder eine Lösung zu finden.» Sportlich hat sie die kleine Schwäche, dass sie nicht ganz so beweglich ist wie andere. Das macht sie aber mit Kraft, viel Schwunggefühl und stark geturnten statischen Figuren wieder wett.

Fliegender Gummiball

Samira Koller (14) ist das Leichtgewicht im Team und somit die Fliegerin, die in der Kür immer oben auf ist. Da sie aber nicht nur klein und leicht, sondern auch sehr beweglich ist, nennen sie die anderen Mädchen ihren Gummiball. Sie sagt denn auch: «Ich bin angeboren sehr beweglich und muss nichts dafür tun, ausser mich gut einturnen.» Sie ist stark darin, ihre Leistung am Wettkampftag auf den Punkt zu bringen. Trotzdem ist Samira oft sehr nervös. Sie erklärt: «Da ich immer zuoberst bin und die Figuren vervollständige, sind die Augen der Richter und des Publikums stark auf mich gerichtet. Wenn ich etwas verbocke, ist die ganze Übung im Eimer. Das stresst manchmal.» Zum Verhängnis wird ihr die Nervosität aber nie, denn sobald sie in den Zirkel einläuft, kann sie diese ausblenden.

Ich spüre schnell, wenn etwas nicht stimmt, jemand traurig oder beleidigt ist. Dann gehe ich auf die Person zu, frage nach was los ist.

Auf dem Rücken von Acardi van den Kapel verschmelzen die Turnerinnen in artistischen Figuren. (Bild: Voltige Lütisburg) Auf dem Rücken von Acardi van den Kapel verschmelzen die Turnerinnen in artistischen Figuren. (Bild: Voltige Lütisburg)

Teamneuling mit Mut

Für die WEG in Tryon von der Voltigegruppe Montmirail ausgeliehen wurde Sira Berghuis (13). Sie wird das Team Lütisburg als Reserve in die USA begleiten. Monika Winkler-Bischofberger erklärt: «Wir haben in unseren eigenen Reihen im Moment keine Nachwuchsvoltigiererin, die so leicht und beweglich wie unsere Samira ist und die das Leistungsniveau hat, sie an Titelkämpfen zu ersetzen. Also habe ich bei Siras Trainerin nachgefragt, ob sie uns unterstützen darf, denn sie wäre der perfekte Ersatz, wenn es zu einem Ausfall unserer Fliegerin käme.» Sira selber sagt: «Ich nehme nun an den zehn Tagen Intensivtraining teil und wohne während dieser Zeit bei Samira, die ich auch ersetzen würde. Ich fühle mich sehr gut aufgenommen, alle im Team sind offen und helfen mir, wo sie können. Umgekehrt werde ich versuchen, sie in Tryon zu unterstützen. Denn wenn alles normal läuft, werden sie dort die Leistung erbringen, während ich einfach Spass haben darf.» Die erfahrene Nadja Büttiker ergänzt: «Wir finden es super, dass Sira diese Herausforderung angenommen hat. Es braucht Mut, sich kurzfristig einer solchen Aufgabe zu stellen.»

Weitere Schlüsselfiguren

Monika Winkler-Bischofberger ist als Teamleiterin und Longenführerin natürlich der Kopf der Mission «Go for Gold». Doch sie betont, wie wichtig es ihr ist, dass einmal mehr ihre Eltern sie und das Team in die USA begleiten. «Dank meiner Mutter kann ich meine drei Kinder mitnehmen, und mein Vater ist für mich eine grosse Hilfe bei allem, was unsere Pferde Acardi van de Kapel und Rayo de la Luz betrifft. Dass er, um mich zu unterstützen, sogar seine Flugangst überwindet, rechne ich ihm hoch an», so die Trainerin. Weiter ist auch ihr Assistenztrainer und Teambetreuer Ivan Nousse eine wichtige Schlüsselfigur. Winkler-Bischofberger erklärt: «Ivan war früher als Einzelvoltigierer für Frankreich am Start und kennt die Gegebenheiten von Titelkämpfen. Damit ich mich vor den Einsätzen ganz auf die Pferde konzentrieren kann, übernimmt er die Betreuung der Mädchen und das Einturnen. Er hat mit ihnen auch Rituale eingeübt, die mit der immer gleichen Musik und Yogaübungen beginnen, und bringt sie so in den berühmten Tunnel, damit sie mental und körperlich ihre Höchstleistung abrufen können.»

Letzte Vorbereitungen

Bevor es nach Tryon geht, stehen Anfang September in Wängi/Rosenthal noch die Schweizer Meisterschaften an. Diese werden für das Team zur Hauptprobe und sollen weiteres Selbstvertrauen vermitteln. Im Hinblick auf die Weltmeisterschaften meint Monika Winkler-Bischofberger abschliessend: «Gold in Tryon ist das Ziel. Im Endeffekt hat für mich aber erste Priorität, dass beide Pferde, das ganze Team und auch ich in allen Wettkampfrunden unsere Bestleistung abrufen, auf einem Toplevel voltigieren und keine Einbrüche haben. Wenn uns das gelingt, können wir es auch akzeptieren, wenn wir nur Zweite oder Dritte werden. Denn es gibt noch viele Faktoren, wie die Richterleistungen oder die Tagesform der Pferde, die wir nicht beeinflussen können.»

Wenn ich etwas verbocke, ist die ganze Übung im Eimer. Das stresst manchmal.

Die Teamleaderin Nadja Büttiker perfektioniert ihre spektakulären Einzelübungen. (Bild: Voltige Lütisburg) Die Teamleaderin Nadja Büttiker perfektioniert ihre spektakulären Einzelübungen. (Bild: Voltige Lütisburg)

Barbara Würmli

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